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Symposien: Kunst und Wahnsinn / Der Blick von innen

Kunst und Wahnsinn - Theater mit „Verrückten“ Moderation: Sabine Müller, Journalistin

Die Regisseure der Ensembles Bohnice Theatre Company (CZ), Compagnie de l`Oiseau-Mouche (F), Opera Buffa (PL), Sering VZW (B), Workman Theatre Project (CDN), Theater Sycorax (D), waren im Gespräch zu elementaren Fragen wie:

  • Was ist anders, was ist normal?
  • Was ist das Besondere in der Theaterarbeit mit Menschen, die psychische Grenzerfahrungen gemacht haben?
  • Sind die Arbeitsansätze verwandt oder divergent, und welche unterschiedlichen Rahmenbedingungen sind Grundlage des künstlerischen Schaffens?

Auszüge

A. Vigano (I): Das Stück zeigt unseren Blick auf die Welt. Theater ist im Sinne von Pluralität der Ansätze zu verstehen. Wir wollen ein Theater der Andersartigkeit und mit den Darstellern in einen Dialog treten. Es bedeutet aber, dass Normalität leider oft die Definitionsmacht für Andersartigkeit ist. Unser Ansatz ist die Suche nach dem Unsichtbaren. Dieses Unsichtbare wollen wir auf der Bühne sichtbar machen für „Normale“ und „Andersartige“. Theater gibt denen eine Stimme, die sonst keine haben, das ist wohl allen Konzepten gemein. Man muss sich fragen, inwieweit das Theater den Blick der Zuschauer ändert, dieser verändert sich nämlich durch das Erleben der Stücke. Das einzige Kriterium ist die Qualität, also gutes und schlechtes Theater, nicht die Krankheitshintergründe. Was ist nun gutes Theater? Ein Theater der Notwendigkeit, Bedingung ist Kommunikation. Schlechtes Theater hingegen ist, wenn die Behinderten in ihrer Rolle festgezurrt bleiben und ihre Etiketten behalten.

P. Artkamp (D): Alle Menschen sind in ihrer Genialität sehr unterschiedlich. Jeder Mensch hat seine Einschränkungen, das gilt sowohl für die Regisseure als auch für die Darsteller. Wir im Theater spielen mit dem Nicht-Sichtbaren, die Zuschauer glauben diese behauptete Welt des Theaters und tragen diese Welt noch weiter mit sich. Ich bin keine Therapeutin, sondern Regisseurin. Aber vielleicht gibt es durchaus therapeutische Effekte des Theaterspielens. Wir wollen hier keine Unterschiede definieren, sondern durch das Festival Gemeinsamkeiten aufzeigen!

K.Winska (PL): Wir arbeiten mit Darstellern vom Institut für Psychologie und Neurologie, vor allem mit an Schizophrenie erkrankten Menschen. Unsere Idee ist es, nicht das Äußere, sondern die Innenwelt der Darsteller auf die Bühne zu bringen, auch um der Öffentlichkeit die Angst vor den Kranken zu nehmen. Sie sollen nicht über sie, sondern mit ihnen lachen.

M. Grijp (B): Wir mischen alles - Alter, kulturelle und soziale Hintergründe, Berufe etc. Es geht uns darum, an Problemen zu arbeiten und nicht auf Problemen zu beharren. Es gibt Profis und Amateure. Amateure haben eine Liebe zum Theater, die die Profis oft verloren haben. Wir machen keinen Unterschied. Die Innenwelt des Individuums muss akzeptiert werden. Theater gibt eine eigene Stimme, das Theater hat auch mir eine Stimme gegeben. Unter der Oberfläche gibt es mehr als Rollen und Stücke. Es gibt das Gruppengefühl, dass die Zuschauer spüren und das ist bei uns tiefgreifender als bei Profi-Aufführungen. Integration würde bedeuten, dass auch wir mit der Gesellschaft zufrieden sind, aber das sind wir nicht.

L. Brown (CDN): Es geht um die Integration von psychisch kranken Menschen und Profis. Zu Beginn war es der Auftrag die psychisch kranken Menschen zu integrieren. Heute ist diese Sichtweise durch Reflexion anders, die Grenzen sind verschwommen, die Unterschiede zwischen psychisch Kranken und Profis sind immer mehr verwischt. Jeder trägt zum künstlerischen Prozess bei. Psychisch kranke Menschen bringen dabei ihre eigene Welt mit ein, tragen sie zu den „Normalen“, die diese Welt noch nicht erlebt haben. Kunst ist einfach Kunst!

M. Ucik (CZ): Ein Schulfreund, der jetzt als Psychologe arbeitet, brachte mich auf die Idee. Ich war vorher Schauspieler und em– pfand es als Experiment, mit psychisch Kranken zu arbeiten. Ich habe die Psychiatrie in Bohnice wie ein Gefängnis erlebt. Viele Leute hatten sich schon aufgegeben, einige konnte ich zu mir ins Theater holen. Nach zehn Jahren haben wir uns entschieden ein Stück zu zeigen „Vera, Marie tanci“. Es handelt von Prozessen in einer Gruppe, einer Geschichte vor allem zweier Frauen, aber es ist auch ein Stück über die Welt - es ist eine Mischung aus Realität, Wünschen und Zweifeln, wie im wirklichen Leben.

Der Blick von innen - trotz psychischer Krankheit ein Leben auf und mit der Bühne Moderation: Elin Walther, Diplom-Pädagogin, Supervisorin

Die Gesprächsrunde mit Schauspielern von Billedspor (DK), Bohnice Company (CZ), Compagnie de l´Oiseau-Mouche (F), Sering VZW (B),Theater Thikwa (D), Workman Theatre Project (CDN), Isole Comprese Teatro (I) und Theater Sycorax (D) kreiste um Fragen nach Chancen und Herausforderungen der Theaterwelt. Die Schauspieler gaben Einblick in ihre persönliche Sicht auf die Bedeutung der Theaterarbeit, Probenprozesse im jeweiligen Ensemble und tauschten sich über ihre Erfahrungen aus. Teilnehmer: Andrea Pagnes (I), Daniela Platz (D), Michel Janckers (B), Martine Bonne (CZ), Frédéric Foulon (F), Jake Chalmers (CDN), Jakob Hansen (DK), Peter Pankow (D)

Vorstellungsrunde:

A. Pagnes (m): Ich bin seit einem Jahr beim Theater, bin eigentlich bildender Künstler. Ich bin Suchtpatient und spielte bereits bei „Hamlet“ mit.

D. Platz (w): Ich bin seit Herbst 2004 dabei.

M. Janckers (m): Ich spiele seit einem Jahr mit. Das hat mir viel ermöglicht.

M. Bonne (w): Ich spiele seit 9 Jahren mit, vor 5 Jahren habe ich Dramaturgie studiert.

F. Foulon (m): Ich spiele seit 1992 mit.

J. Chalmers (m): Ich bin seit 1991 dabei.

J. Hansen (m): Ich bin seit 11 Jahren Musiker und spiele Theater.

P. Pankow (m): Ich bin Musiker und Performer. Wir sind Vertreter einer neuen Kunst für Deutschland und die Welt. Wir präsentieren eine neue Form.

Welche Erfahrungen habt ihr auf der Bühne gemacht? Lasst uns in einen Austausch über den Blick von innen gehen!

J. Hansen: Wir sind ehemalige Patienten und arbeiten im Kollektiv. Wir können jederzeit mit unseren Regisseuren reden, wenn wir Probleme haben. Wir sind kein Therapie- oder Sozialprojekt. Der Arbeitsprozess ist sehr fordernd, nur so können wir unsere eigenen Bilder finden und unsere Vorstellungen umsetzen. Es ist ein harter Weg und es kann mit normaler Arbeit gleichgesetzt werden.

M. Jankers: Also meine Erfahrung besteht darin, dass ich vor allem positive Resonanz bekomme und das als sehr erfreulich erlebe und sich dadurch mein ganzes Weltbild eigentlich auch wieder verbessert hat.

J. Chalmers: Wir sind ein integratives Projekt, in dem auch Profis und Gesunde mitarbeiten. Es bietet einen sicheren Ort für uns, an dem man experimentieren kann und das ganze Projekt richtet sich gegen Stigmatisierung. Wir vertreten verschiedene Kunstformen. Wir und überhaupt Projekte dieser Art entwickeln neuartige Ideen, die die Denkweise von Menschen ändern sollen.

D. Platz: Für mich war es eine ganz außergewöhnliche Erfahrung, dass ich trotz psychischer Erkrankung auf der Bühne stehen und meine Leistung erbringen kann. [...] Es hat mir noch einmal Anstoß gegeben, zu überlegen, wie viel an Kraft und Potential doch noch da ist. Denn ich hab mich oft sehr verkrochen oder verschlossen vor solchen Dingen. Ich hätte mir das Theaterspielen vor 4 Jahren überhaupt gar nicht zugetraut, gerade wegen der Angst vor der großen Stigmatisierung und weil es einem oft von außen nicht zugetraut wird. Und das hat mir noch einmal sehr viel gegeben, mich selbst zu beweisen und auch zu sehen, dass es möglich ist.

P. Pankow: Wir sind nicht behindert, wir wollen die Leute einfach nur begeistern mit dem, was wir auf der Bühne zeigen. Die Gesellschaft sollte nicht so negativ darüber denken. Wir wollen die Menschen auch ohne Sprache begeistern. Beim Theaterspielen teilen behinderte und nicht behinderte Menschen etwas, die Grenzen können verschwinden. Wir sind Künstler.

A. Pagnes: Auf der Bühne suchen wir immer den Moment der Wahrheit und Echtheit. Das Theater gibt uns die Möglichkeit zu dieser Suche. Dann kann Kunst entstehen, etwas Zeitloses.

M. Bonne: Theater ist Beruf und Therapie für mich. Es hilft mir aus den Problemen herauszukommen, ich bin dadurch geworden, wie ich jetzt bin. Ich konnte auf die Suche nach meinem Ich gehen und meinen Körper wieder annehmen. Auch der Aufenthalt in der Psychiatrie hat mir dies ermöglicht, u.a. das Theaterspielen und das Studium. Mein Leben ist radikal aufgeblüht. Es gab vor fünf Jahren ein Experiment an der Uni Prag, ein Studium für psychisch Kranke. Leider wurde es abgebrochen.

F. Foulon: Ich bin in der Schulzeit auf das Theater aufmerksam geworden, damals war ich Amateurspieler. Jetzt kann ich professionell Theaterspielen, das hat mir viele Türen geöffnet.

Wie fühlt ihr euch beim Spielen? Wie geht ihr und wie gehen eure Kollegen mit der Krankheit um

M. Bonne: Wenn ich spiele, bin ich sehr konzentriert. Ich bin dann ganz präsent in diesem Augenblick. Theaterspielen ist eine intensive Erfahrung. Die Kollegen wissen von meiner Krankheit, es wird aber nicht besonders thematisiert, es geht uns ja schließlich nur um das Theaterspielen.

Jemand aus dem Publikum: Auf der Bühne verwischen die Grenzen zwischen Kranken und Nichtkranken. Es ist dann ein kreativer Prozess. Ziel der Arbeit ist es, dass das Wort Behinderung nicht mehr im Vordergrund steht, dass das Schubladensystem aufgehoben wird. Die Fähigkeiten, die jeder hat, sollten im Theater genutzt und Vorurteile sollten aufgehoben werden. Behinderte werden als behindert erklärt, aber das defizitäre Denken blockiert die Behinderten. Es ist kein pädagogischer Auftritt, wir machen professionelles Theater in der Öffentlichkeit. Jeder hat seine Aufgabe, die er so gut er kann erfüllt. In jedem Menschen steckt der Wunsch nach Verwandlung. Es sollte die Chance geben zur Selbstverwirklichung und die Integration in eine gemeinschaftliche Arbeit.

J. Hansen: Die Kommunen sitzen den „Kopfkranken“ im Nacken und sagen, dass wir doch „normaler“ Arbeit nachgehen sollten. Natürlich soll es Jobs für uns geben, aber die kulturellen Programme sollen weitergeführt werden.

D. Platz: Psychisch Kranke sollen selber mehr für ihre Integration tun. Integration ist ein Auftrag, auch an uns selbst. Wir können nicht immer auf Almosen und Plattformen warten. Jeder Mensch hat seine Stärken und es sollten keine unterschiedlichen Maßstäbe angelegt werden.

P. Artkamp: Zu Beginn meiner Theaterarbeit mit Sycorax war ich sehr unsicher und habe mich bei Psychiatern erkundigt. Mir wurde oft gesagt, dass es ein schwieriges Unterfangen sei, Theaterarbeit würde eventuell krankheitsfördernd und nicht heilend wirken, da in dieser Arbeit viele Fantasieräume geöffnet würden. Die Psychiater standen damals Projekten dieser Art eher ablehnend gegenüber.

Wie seht ihr das?

P. Pankow: Wir versuchen die Grenze zur Behinderung zu zerstoßen. Wir machen Form, Tanz, geistige Körperlichkeit!

J. Chalmers: Wir sind keine Mediziner, es geht um Konzepte. Krankheiten bringen auch Vorteile mit sich, eine Ausmerzung von Krankheiten ist auch durchaus als gefährlich anzusehen.

M. Janckers: Bei uns wurde noch niemand krank auf der Bühne, wohl aber während der Proben. But we will survive!

J. Hansen: In unserer Gruppe gab es in den letzten Jahren zwei Fälle, beide betroffene Personen mussten dann leider ins Krankenhaus. Ich glaube aber, dass es wahrscheinlich zu mehr Krankenhausaufenthalten gekommen wäre, wenn die beiden kein Theater gemacht hätten.

D. Platz: Rückfälle können grundsätzlich überall eintreten. Krankheit darf trotzdem niemanden ausgrenzen. Mich ärgert es sehr, dass die Ärzte in der Regel so übervorsichtig sind.

M. Bonne: Theater hat einen Bumerangeffekt, die Kraft, die darin steckt, kommt mit viel Schwung zurück. Nicht die Pauschalisierung aller Erkrankten, sondern das Individuum sollte im Vordergrund stehen.

A. Pagnes: Kraft verliert derjenige, der immer nur in Kategorien denkt. Die Essenz der Schönheit jedes Einzelnen sollte sichtbar gemacht werden.

J. Hansen: In einem Lehrbuch steht z.B., dass man Schizophrene nicht berühren darf.

Wie war das für euch, bei diesem Festival auf der Bühne zu stehen?

J. Hansen: Es war super!

D. Platz: Es hat mich sehr glücklich gemacht, vor allen Dingen so viele Künstlergruppen zu erleben und sich auszutauschen.

M. Janckers: Ich habe das Festival sehr genossen. Ich hoffe, dass ich als Persönlichkeit daran wachsen werde und mein Leben wieder genießen kann.

M. Bonne: Es war einfach toll. Die Workshops und das Treffen heute sind für mich eine große Bereicherung.

P. Pankow: Ich bin sehr stolz und sehr froh hier zu sein und so viele andere Künstler kennen zu lernen. Im Mittelpunkt steht, mit Würde Kunst zu schaffen und sich nicht über Behinderung definieren zu lassen.

J. Chalmers: Unsere profitorientierte Gesellschaft beschränkt uns. Wir brauchen aber eine gesunde Gemeinschaft, um etwas positives zu bewirken. Dieses Festival setzt einen wichtigen Akzent und gibt Impulse gegen Ausgrenzung.

Schlussmoderation E. Walther: Ich denke, es ist auch deutlich geworden, dass die Bühne - das war ja hier die Frage - die Bühne der Ort der Ganzheit ist, der Gemeinschaft und dass das Theater alles braucht - den ganzen Menschen mit all seinen Erfahrungen, mit dem gesamten Sein, auf welche Art auch immer. Das ganze Sein auf die Bühne zu bringen.



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