Illustration

Mit diesem Festival setzen wir einen künstlerische Kontrapunkt

…11 Himmel - 11 Theatergruppen aus 9 Ländern stellen ihre Kunst vor, laden den Zuschauer in eine eigene Welt ein. Jede Gruppe bringt ein Stück ihres Himmels mit - mit seinen Stürmen und Gewittern, seiner Weite und Offenheit, mit Wolkenbrüchen, Luftspiegelungen und milden Winden, Windhosen und Tornados….. Der Himmel - ein Spiegel der Seele? Ein Spiegel des Geistes? Auf jeden Fall der Geistesfreiheit. Kein Kerker, keine Zelle, keine Abschottung. Wo der Himmel ist, ist die Hölle nicht weit. - Nach dem alten vertikalen Weltbild ist der Himmel oben, die Hölle unten. Der Mensch sitzt irgendwo dazwischen. Aber unsere Sprache kennt auch das Bild der Hölle auf Erden, die so mancher durchgemacht hat. Das gilt besonders für die psychischen Qualen. Das Theater als Urlaub von der Hölle?! Wir nehmen uns die Freiheit - die Narrenfreiheit - madness eben. Theater kann eine List sein, dem Schicksal der Stigmatisierung und Etikettierung ein Schnippchen zu schlagen. Die Verrücktheit und Narretei erweist sich auf der Bühne nicht als Nachteil sondern als Vorteil. Mit diesem Festival setzen wir einen künstlerischen Kontrapunkt.

Manfred Kerklau, Festivalleiter

Durch dieses Festival wird die Welt noch offener und noch mehr geweitet

...4 Jahre Theater spielen bei Sycorax: das waren für mich 48 Auftritte und 226 Proben.

Die Proben und die Auftritte bilden die Basis, sind aber noch längst nicht alles, was wir gemeinsam erlebt haben. Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich an viele, viele Stunden, in denen wir nach den Proben und auch zu anderen Zeiten gemeinsam zusammen gesessen, diskutiert, gefeiert, auch zusammen getrauert haben, in denen wir mit Bus und Bahn unterwegs waren, in denen wir auf Feldbetten und in Zelten übernachtet haben. Die Anzahl dieser Stunden kann ich nachträglich nicht mehr recherchieren, die Erinnerung an diese gemeinsamen Erlebnisse ist jedoch sehr prägend und nachhaltig...

Eigene Ansichten, Perspektiven, Anschauungen, Erfahrungen haben sich seither auf den Kopf gestellt, sich aufgerichtet, sind rotiert. Der Zeitpunkt dafür war meistens überraschend und hat mich oft in Staunen versetzt.

Ich sehe das bei mir und genauso bei meinen Mitspielern, dass wir an uns und mit den anderen wachsen und gewachsen sind, dass wir ständig Herausforderungen annehmen und meistern, jeder nach seinem eigenen Tempo. Ich habe voll Staunen miterlebt, wie wir uns durch das Theater, durch das Einlassen auf Sycorax, verändert haben und wie viel Ressourcen, Potential und Kreativität, die manchmal verschüttet waren, freigesetzt wurden. Dadurch weitet sich unsere Welt.

Das Erklären von Zuständen, von Situationen und Empfindungen wird für mich dabei unwichtiger, im Vordergrund stehen für mich bei Sycorax das Erleben und das Spüren...

Das schließt Begeisterung, Entzücken, Fröhlichkeit und Genuss genauso ein wie gerührt sein, sich angenommen fühlen, sich dazugehörig fühlen, auch Trauer oder Neid, vertieft sein, Besinnlichkeit, bewegt sein, sich mitreißen lassen, ergriffen und auch stolz sein...

Das kann sich ausdrücken durch Luftsprünge, Freudenhüpfer, Tränen der Rührung, auch manchmal der Erschöpfung, Jubelschreie, Glückstaumel, durch Träume.

Dieses Erleben und Spüren ist wie ein Kraftstoff, von dem ich und wir im Alltag profitieren und der uns mit antreibt. Und auch wenn dieser Kraftstoff bei jedem Mitspieler anders wirkt und aussieht, wird eine gemeinsame Kraft und Energie und viel gegenseitige Unterstützung in den Proben, auf der Bühne und im Kontakt untereinander deutlich. Durch dieses Festival wird die Welt noch offener und noch mehr geweitet.

Alexandra Brink, Schauspielerin Theater Sycorax

Die Unvernünftigen sterben aus

„Was für ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten, wie edel durch Vernunft!“ So spricht ausgerechnet Shakespeare`s Hamlet, der ja nicht mehr unbedingt durch Geistesgegenwart glänzt, sondern längst an seiner Vernunft und auch an seinem Verstand zweifelt, zweifeln muss. Eine tragische Theaterfigur, verloren. Es ist ein schmaler Grad zwischen Rationalität und Irrationalität, auf dem dieser irre werdende Hamlet wandelt - und mit ihm noch heute alle, die sich die unüberschaubare Welt und die dunkle Natur des Menschen zu erklären versuchen. Die verstehen wollen, was den Menschen ausmacht. Ist es tatsächlich die Vernunft, die Ratio, wie Platons „dianoia“- Begriff von den römischen Philosophen übersetzt wurde? Jene Vernunft, von der später die Aufklärer glaubten, sie könne die Wahrheit ans Licht bringen? Die zum wesentlichen Rüstzeug allen Erkenntnisgewinns, zum sinnstiftenden Lebensgrund erhoben wurde? Zumindest regiert das Rationale in vielen Lebensbereichen unserer vernunftgläubigen westlichen Welt als Dogma. Sei doch mal vernünftig. Komm zur Vernunft. Das bläut man schon Kindern ein...

Unser Festival „madness & arts“ lädt zur Unvernunft ein. Zum Wahnsinn. Nicht etwa, weil wir als Hofnarren der Kulturpolitik Vergnügen daran hätten, aus der Reihe der XXX zu tanzen. Sondern aus Notwendigkeit. Wir stehen hier, wir können nicht anders. Unsere Kunst folgt nicht der Vernunft, sie ist nicht sinnvoll, sie ist nicht, wie man folgern müsste, „logisch notwendig“. Sie ist frei, sie ist , sie ist...

Die Unordnung ist willkommen. „Ordnung ist die Lust der Vernunft, Unordnung ist die Wonne der Phantasie“ (Paul Claudel). Das Festival bietet Raum für fast alles: Fantasie und Improvisation, Frechheit und Toleranz, Selbstironie, Subversion, Unsittlichkeit, Blasphemie, Irrsinn und Gelächter. Nur eben nicht für die Vernunft.

„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch“, hat George Bernhard Shaw einmal geschrieben. Auch dafür streiten wir: Für die Offenheit unserer Kunst, die sich kontinuierlich entwickelt und wächst, mit der wir neue Räume und Realitäten schaffen, also Lebenswirklichkeit. In unserer Gesellschaft ist es noch immer nicht normal, verrückt zu sein. Aber, mit den Worten Voltaires, „in einer irrsinnigen Welt vernünftig sein wollen, ist schon wieder ein Irrsinn für sich.“...

Wir hoffen, dass die Unvernünftigen niemals aussterben!

Paula Artkamp, Festivalleiterin



Illsutration