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Paula Artkamp und Manfred Kerklau leiten seit 10 Jahren erfolgreich das Theater Sycorax in Münster. Sie sind die Kuratoren, Organisatoren und Gastgeber des Worldfestivals madness & arts II. Ein Gespräch über Erfahrungen und Wünsche.

Paula Artkamp, Manfred Kerklau, auf dem ersten Weltfestival Madness & Arts, das 2003 in Toronto stattfand, wart Ihr mit der Sycorax-Produktion „Woyzeck” vertreten. War das, im Rückblick, eine prägende Erfahrung?

Artkamp: Zunächst einmal war es natürlich sehr spannend, mit anderen Gruppen in einen Arbeitsaustausch zu kommen. Und die Bedingungen dort waren toll, die Produktionen wurden gewürdigt, bekamen eine breite Aufmerksamkeit, spielten im größten Theater Torontos.

Kerklau: Die Kunst wurde in den Mittelpunkt gerückt, es fanden Begegnungen von Künstlern statt. Nicht das Thema Krankheit stand im Vordergrund, das war erfrischend.

Wann und wie wurde die Idee geboren, dieses Festival in Münster fortzuführen?

Kerklau: Die „Madness-&-arts” Festivalleiterin Lisa Brown äußerte auf einem Symposium den Wunsch, das Festival möge um die Welt wandern. Da hat Paula gleich gesagt: Wir machen das in Münster. Wo mir erstmal das Herz in die Hose rutschte. Aber es hat dann ja geklappt.

Artkamp: Ich habe gedacht: Münster ist die ideale Stadt für so ein Festival. Hier versucht man ja oft, gerade Wege zu gehen. Da passt es, die Ränder in die Mitte zu holen und selbstbewusst ganz andere Facetten zu zeigen. Das steht Münster auch sehr gut.

Droht Ihr über das Organisatorische bisweilen die Kunst aus den Augen zu verlieren?

Artkamp: Zumindest nicht die eigene. Sycorax wird sich mit einer Premiere präsentieren, an der wir konzentriert arbeiten. Natürlich ist es eine große Kunst, so ein Festival auf die Beine zu stellen, das organisatorisches Handwerk erfordert, aber bei dem die künstlerische Herangehensweise ebenso wichtig ist.

Es ist ja eine außergewöhnliche Theaterkunst, es sind Gruppen, die mit psychisch kranken Menschen arbeiten. Wie begegnet Ihr dem Stigma „Nischenkunst”?

Kerklau: In der Arbeit denkt man nicht in solchen Kategorien. Man schaut auf die Menschen, mit denen man etwas Gutes auf die Bühne bringen will. Das allein führt ja heraus aus der Nische, und es holt auch die Schauspieler aus ihrem Nischendasein.

Artkamp: Das Interessante bei Sycorax ist, dass die Menschen sich uns aussuchen, nicht umgekehrt. Das schafft eine andere Basis, mit dem Potenzial, das diese Schauspieler haben, umzugehen.

Nach welchen Kriterien habt Ihr die Gruppen ausgesucht, die Ihr einladen möchtet?

Kerklau: Erstmal war eine intensive Recherche vonnöten: Wer kommt überhaupt in Frage? Dann haben wir lange gesichtet und geschaut: Geht diese oder jene Produktion interessante, neue künstlerische Wege, auch wenn sie vielleicht nicht dem eigenen Geschmack entspricht. Aber es ist schon eine heikle Sache. Oft bleibt man mit vielen Fragezeichen zurück.

Artkamp: Theaterästhetische Gesichtspunkte sind nicht auszublenden, klar. Oft sieht man Produktionen, in denen die Betroffenen nur Randfiguren, Staffage sind. Wo man sich auf der Bühne mit Menschen, die anders sind, schmückt – das kann ich nicht vertreten. Es ist uns aber gelungen, außerordentliche Gruppen aus den verschiedensten Ländernauszuwählen, die uns mit Ihrer Qualität überzeugen und die in Ihrer Arbeit sehr spannende Ansätze vertreten.

Wie habt Ihr als Theatermacher zu der Arbeit mit psychisch kranken Menschen gefunden?

Artkamp: Ich wollte, aus persönlichen Gründen, als Künstlerin neue Erfahrungen machen, wobei ich allerdings von einem einmaligen Projekt ausgegangen bin. Die Arbeit hat mir dann jedoch soviel Kraft gegeben, dass ich dabei geblieben bin. Und ich glaube, wir haben immer mehr gelernt, mit dem Potenzial umzugehen, das vorhanden ist.

Kerklau: Ich bin in der Endphase der ersten Produktion für einen Spieler eingesprungen, und es war eine tolle Erfahrung, mit dieser Gruppe auf der Bühne zu stehen. Da ist eine Verletzlichkeit, eine Ehrlichkeit vorhanden, die berührt.

Was ist frustrierender: Gegen eine Gesellschaft anzuspielen, die sich für gesund hält und andere ausgrenzt? Oder mit einem wohlwollenden Behindertenbonus bedacht und umarmt zu werden?

Artkamp: Erstmal: Ausgrenzung ist für die Betroffenen hart und leidvoll. Da schaffen wir mit den Mitteln der Kunst neue Räume. Zum anderen: Wenn wir nur gelobt werden, weil wir mit Betroffenen arbeiten, finde ich das auch schrecklich. Kerklau: Im Grunde bedeutet das ja wieder eine Abgrenzung von den Menschen, auf die man sich nicht einlassen mag. Die Betroffenen jedenfalls wollen nicht wegen ihrer Krankheit geschätzt werden.

Artkamp: Oft fragen Zuschauer nach der Vorstellung: Wie viele aus der Gruppe sind denn psychisch krank, wie viele sind schizophren? Da frage ich mich: Was würde es bedeuten, wenn ich darauf eine Antwort geben würde? Was für eine Form von Kategorisierung wäre das? Für manche ist es vielleicht ein Kitzel, mit jemandem zu sprechen, den der Wahnsinn geküsst hat.

Inwieweit kann und will das Festival „madness & arts” integrativ wirken?

Kerklau: Das Festival soll im Zentrum der Stadt stehen, ein Thema sein, an dem man nicht vorbeikommt. Ob die Auseinandersetzung allein schon integrativ wirkt, ist zwar fraglich, zumindest aber können wir neue Impulse geben.

Artkamp: Wir haben schon in der Vorbereitungszeit sehr viel positive Resonanz von unterschiedlichsten Seiten erfahren. Das hat unsere Arbeit gestärkt und auch beflügelt.

Welche Wünsche habt Ihr für das Festival?

Artkamp: Der Wunsch besteht, dass sich über das Festival hinaus Kontakte ergeben, Möglichkeiten der temporären Zusammenarbeit. Ebenso, dass wir durch die künstlerischen Ansätze, die vertreten sind, Anstöße für unsere eigene Arbeit gewinnen.

Kerklau: Und natürlich wünschen wir uns, dass es eine schöne Zeit wird. Dass die Menschen sich nicht nur die Aufführungen anschauen, sondern es zu echten Begegnungen kommt.


Interview: Rita Roring und Patrick Wildermann



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